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Autor: Irmgard Schertler 2004
Die zwei Birken am Waldrand – Ein Märchen

Es waren einmal ein junger Mann und ein junges Mädchen. Die hatten einander so lieb, wie man sich nur lieb haben konnte. Jeden Tag trafen sie sich am Waldrand. Dies war ihr geheimer Treffpunkt. Kein anderer wusste davon.

Denn ihre Eltern waren gegen diese Liebe. Die beiden Familien waren schon seit Generationen verfeindet. Keiner wusste mehr, weswegen. Aber keiner sprach mit einem Familienmitglied der anderen Seite.

Nur die beiden jungen Menschen hatten sich lieb gewonnen. Sie erzählten ihren Familien natürlich nichts davon. Denn sie wussten, dass das auf Unverständnis stoßen würde und Schlimmes auslösen konnte.

Auch heute trafen sie sich wieder an ihrem Platz am Waldrand. Sie umarmten sich, als ob es das letzte Mal wäre. Das taten sie jedes Mal so. Denn es konnte ja immer das letzte Mal sein! Zwischen den Küssen machten sie Zukunftspläne, teilten sich ihre Gedanken mit oder sahen sich einfach nur in die Augen.

Dann gingen sie wieder nach Hause. Keiner wusste, wo sie gewesen waren. Und keiner durfte es wissen. Diese Geheimnistuerei belastete sie, aber es war die einzige Möglichkeit, zusammen zu kommen.

Eines Tages kam das Mädchen weinend und völlig aufgelöst zu dem Treffpunkt. Erschrocken nahm sie der junge Mann in die Arme. Und erst nach langer Zeit bekam er aus ihr heraus, was geschehen war: 

Ihre Eltern hatten herausgefunden, dass sie sich mit dem Sohn der verhassten Familie traf. Es gab eine hässliche Szene. Großes Geschrei und viele böse Worte. Und am Schluss wurde ihr mitgeteilt, dass sie morgen zur weit entfernten Tante gebracht würde, damit diese Tändelei aufhörte.

Die beiden waren verzweifelt. Jetzt war das eingetreten, was sie befürchtet hatten. Was sollten sie tun? Sie würden sterben, wenn einer ohne den anderen sein musste. Wie konnte die eigene Familie so herzlos sein?

Da stand plötzlich eine alte Frau vor ihnen. Sie erschraken etwas, aber da die Frau sie freundlich grüßte, grüßten sie ebenso freundlich zurück. Die Frau fragte sie: „Was ist mit euch? Warum seid ihr so verzweifelt?“ Die beiden jungen Menschen erzählten es ihr.

Die Frau hörte ihnen bis zum Ende ihrer Erzählungen zu und fragte sie dann: „Wenn ihr euch etwas wünschen könntet, welches wäre dann euer Wunsch?“ Die beiden sahen sich an und sagten wie aus einem Mund: „Dass wir für immer zusammen bleiben können.“

„Das ist aber etwas schwierig zu machen, wie ihr ja seht“, sagte die alte Frau nachdenklich. „Wäre es denn egal, auf welche Weise?“ Die beiden sahen sie verwundert an. Sie hatten ihre Reden bis jetzt nicht ernst genommen. Aber nun keimte ein Funke Hoffnung in ihnen auf.

„Ja, es ist egal, wie das geschieht“, sagte der junge Mann, und das junge Mädchen nickte bestätigend. „Wir wollen nur für immer hier zusammen bleiben“, fügte das Mädchen hinzu. Voller Vertrauen sahen beide auf die alte weise Frau, einer hatte den anderen fest umschlungen.

„Dann soll es so sein“, sagte diese. Sie erhob ihre Arme und murmelte einige fremd und beschwörend klingende Worte. Leichtes Donnergrollen ertönte, und Nebel hüllte den Waldrand ein. Als der Nebel abzog, war von den beiden jungen Menschen nichts mehr zu sehen.

Statt dessen sah man dort zwei junge Birken, die eng verschlungen da standen. Niemand hat die beiden jungen Menschen mehr gesehen. Aber die Birken wachsen seitdem weiter: eng umschlungen und dem Himmel entgegen.
 

Copyright: Irmgard Schertler 2004
"Die Suche nach dem verzauberten Prinzen"
ein Buch von Irmgard Schertler
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