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Der Tod von Frau E.

Es war ein Tag. Die Sonne schien zwar, aber die Kälte zerrte an der Substanz. Ich hatte eigentlich gar keine Substanz mehr. Irgendwie spürte ich eine ohnmächtige Gleichgültigkeit, die meine verstopfte Seele zu erschlagen drohte. Ob ich jetzt tot umfiele oder vor Freude aufschrie, .................. eigentlich wäre es völlig gleichgültig. Ich fühlte mich irgendwie unwohl, - überflüssig. So kam ich in das Pflegeheim Lainz.

Mit mir waren auch Stefan und Elfi. Wir gingen durch die kalten Gänge. Diese Gänge waren immer sehr kühl, aber heute fühlten sie sich ausgesprochen kalt an. Der charakteristische Geruch eines Pflegeheimes erfüllte meine Nase. Es roch nach faulem Leben. Die Schritte halten mir nach und zerschlugen das hilflose "Grüß Gott", welches ich der alten Dame zurief, die von uns gerade bei ihrem nachmittäglichen Gang-Spaziergang gestört wurde. Ihr Blick streifte mich unsicher, doch ich hatte nicht das geringste Bedürfnis stehen zu bleiben, ich wollte nicht stehenbleiben - ich mußte sie vergessen - ihr Blick durfte mich nicht getroffen haben.

Frau E., ach ja, - wir wollten doch Frau E. besuchen. Zielstrebig liefen meine Beine auf eine Tür zu, während Stefan und Elfi verdrängend vorbeizogen. Ich rief ihre Gedanken zu dem Schild, welches nun den Namen von Frau E. verloren hatte. In schrecklicher Klarheit erschlug der Gedanke an den Tod den Gedanken an das Warum. Er rief in mir nichts hervor. Er schlug nur zu, sinnlos wie ein betrunkener Rocker ein kleines Kind blutig prügelt. Ich aber spürte nicht einmal mehr die Wärme des Blutes. Ich spürte zwar das ausgetrocknete Herbstblatt, welches sich an meinem Jackenkragen verfangen hatte, doch das Blut erweckte in mir nicht das geringste Gefühl.

Die Tür wehrte sich kaum, als ich ihre Schnalle herunterdrückte, um sie zu öffnen. Kein Gedanke verschwendete sich jetzt an den Sinn dieser Handlung, denn ich blickte auf ein leeres Bett, das noch immer neben dem Fenster stand. Es war frisch überzogen, - trotzdem schien es noch für Frau E. bereit zu stehen, deren Name am Schild der Tür verloren gegangen war. Der Tod wurde zur Gewißheit, welche die Stimmung erdrückte. In mir selbst blieb alles gleichgültig; alles war nur scheinbar. Dieser Schlußpunkt war mir völlig egal. Ich sah den Tod als "Egal". Je weniger er Wahrheit zu sein schien, umso realer erschien er mir. Wohin er führte, bedachte ich gar nicht mehr. In meiner Seele erbrach sich das Leben, welches nur mehr plätscherte, ohne aufzuwallen. Mir lag in diesem Augenblick der eigene Tod näher als der von Frau E..

So setzte ich mich und begann auf der Gitarre zu spielen. Noten und Töne erfüllten den Raum in ungleichmäßigen Abständen, formten sich zu Melodien und verflüchtigten sich durch das geschlossene Fenster im Herbstwind. Doch Elfi spie mir ihr Bedürfnis nach Trauer ins Gesicht, sodaß ich diese sinnvolle Beschäftigung zur Seite stellte, um ihrer Angst vor dem Tod ungehindert Nahrung zu geben. Ich spürte, wie ich diese Zimmer nun verabscheute. Die Wände bedeuteten nur weiße Farbe.

Frau E. war tot. ich hatte sie auch gerne gehabt, aber ihr Tod erschütterte mich nicht. Ich starb nicht mit ihr. Das Gefühl der Erholung durchdrang mein Inneres, da mit lautem Freudengeschrei antworten wollte. Ich durfte mich aber nicht freuen, - mich mit Frau E. freuen. Nun haßte ich die gesamte Umwelt, doch im Grunde genommen schien mir dies soundso gleichgültig. War doch jeder Beileidwunsch eine heuchlerische Selbstverleumdung. Der Gedanke daran, daß Frau E. gestorben war, erfüllte mich mit beängstigender Passivität, die ihn gar nicht bis zu den Tränendrüsen gelangen ließ.

Ich hatte Angst vor mir selbst, die sich geschickt hinter der fahlen Gleichgültigkeit verbarg. Da schrie jedes Wort in unbekannten Tönen, als wollte es sich bemerkbar machen. Doch "und" erschien mir wichtiger als "Tod", und das Bett blieb frisch überzogen. Der Schein der Sonne fiel auf das weiße Leinen, in dem noch die letzten Leiden von Frau E. verborgen waren. Der Gedanke erstarrte in einer unendlichen grauen Masse - der Tod von Frau E. wurde endgültig zur Gleichgültigkeit.

Erbler Rudolf         verfaßt im April 1982,
                              neu bearbeitet am 25. März 2000

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