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Autor: Tor Age Bringsvaerd
Die drei heiligen Narren

Mein Herr hat den Nachthimmel immer geliebt. Ich weiß nicht mehr, wie oft er mich zu sich gerufen hat. Wenn er nicht einschlafen konnte, meine ich. Dann standen wir zusammen da - auf einem der Türme oder auf dem flachen Dach über seinem Schlafzimmer -, und er zeigte mir, wie man das Siebengestirn und viele andere Sternbilder erkennt. Mein Herr sagt, der Tanz der Lichter dort oben sei ein himmlisches Buch, das Gott persönlich geschrieben hat. Ich werde niemals den Abend vergessen, an dem wir den großen Stern zum ersten Mal sahen. Es war, als hätten sich tausend Regenbögen um einen strahlenden Mittelpunkt zusammengeschlossen, zu einem Licht, stärker als der Vollmond.

Ich hatte meinen Herrn noch nie so aufgeregt erlebt. Er sagte: »Jetzt wird ein mächtiger Fürst geboren. Irgendwo im Westen.« Und weiter: »Es ist Wille des Himmels, dass wir uns sofort auf den Weg zu diesem Fürsten machen, um ihm zu huldigen.«
 
Also brachen wir auf. Mit einer großen, stattlichen Karawane. Mein Herr ist alt. Viele Tage im Kamelsattel zu verbringen, gehört nicht mehr zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Aber ich versuchte die ganze Zeit nach besten Kräften, ihn auf zuheitern. Das ist meine Aufgabe auf dieser Welt. Mein Herr ist ein König. Und ich bin sein Narr. Ich lenke ihn von seinen trüben Gedanken ab. Ich lindere seine Schmerzen. Ich bringe ihn zum Lachen.
Wir waren nicht die Einzigen, die den Stern gesehen hatten - und die ihm folgten. Bald trafen wir andere Reisende, die ebenfalls zu diesem Fürsten wollten. Die dasselbe Ziel wie wir hatten. Als wir das Land der Juden erreichten, zogen wir zusammen mit zwei anderen Königen und ihrem Gefolge weiter. Eine Karawane mit vielen Hundert Dienern und Soldaten, dazu Pferde, Hunde, Kamele und Elefanten.
 
Könige und KindAber was hatten wir eigentlich erwartet? Wir hatten erwartet, einen Fürsten vorzufinden, der mächtiger war als die drei Könige, mit denen wir unterwegs waren. Einen König der Könige, einen Herrscher sondergleichen. Aber was wir fanden, war ein Stall, eine Scheune, eine elende Hütte. Wir fanden zwei hungrige und erschöpfte junge Menschen. Einen armen Zimmermann und seine Verlobte - und das Kind, das sie vor kurzer Zeit geboren hatte. Plötzlich waren wir sehr verlegen. Wussten nicht, was wir von der ganzen Sache halten sollten. Und wir merkten, dass auch die beiden verlegen waren - die beiden in der Hütte. Aber wir waren weit gereist. Und während das ganze Gefolge draußen wartete, traten die drei Könige - Kaspar, Melchior und Balthasar - in den engen Stall.

Durch die offene Tür und durch die undichten Bretterwände sahen wir, wie sie niederknieten und dem Kind Geschenke überreichten: Gold, Weihrauch und Myrrhe, - Dinge, die Könige und Kaiser sich gern gegenseitig schenken.
 
Ich begriff gar nichts. Ich bin nur ein erbärmlicher Narr und Gaukler. Mir kam das alles so sinnlos vor. Ich sah die drei Könige auf dem Boden knien. Ich sah die armen Eltern, ich sah das Kind, das sie in eine Krippe gelegt hatten. Ich hörte, dass es weinte. Die Mutter versuchte, das Kleine zu beruhigen. Aber der Junge war untröstlich. Als ob ihm die Trauer und das Leid der ganzen Welt auferlegt seien. Und als sei das eine so schwere Last, dass er sie einfach noch nicht tragen
konnte.
 
Ich weiß nicht, was dann über mich kam. Aber auf einmal wusste ich, dass auch ich die Hütte betreten musste. Die beiden anderen Gaukler und ich mussten da hinein. Denn jeder König hat seinen Narren. Also winkte ich meinen Kollegen und zog sie dann mit in den Stall. Ich weiß bis heute nicht, woher ich den Mut genommen habe. Denn ich sah, wie die Augen meines Herrn aufblitzten. Aber ich konnte nur an das Kind denken, an das weinende kleine Kind.
  Die drei heiligen Narren
Und dann legten wir los - wir drei Narren. Wir schlugen Räder und Purzelbäume und jonglierten mit neun Bällen auf einmal, hüpften im Kreis und krähten wie ausgelassene Hähne. Bald konnten sich unsere Herren ein Lächeln nicht mehr verkneifen. Der Vater des Kindes musste ebenfalls schmunzeln. Und sogar die Mutter strich sich die Haare aus der Stirn und warf uns einen dankbaren Blick zu, den ich nie vergessen werde. Denn jetzt wurde das Weinen ganz langsam leiser. Das Kind drehte sich auf die Seite und blickte uns an. Ein vor ganz kurzer Zeit geborenes Kind. Dennoch war sein Gesicht so wach und klar, dass wir erschraken.
 
Nun fielen auch wir auf die Knie. Denn uns war klar, dass wir uns an einem heiligen Ort befanden. Dass das Kind heilig war. Dass es eine heilige Familie war. Dass die Könige von nun an die Heiligen Drei Könige genannt werden würden. Deshalb fielen auch wir auf die Knie - wir, die heiligen drei Narren. Doch während wir vor der Krippe knieten, schnitten wir immer weiter die albernsten Grimassen. Wir zwinkerten. Wir rümpften die Nase. Bis alle lachten. Bis der ganze Stall schallend lachte. Bis das Kind Kummer und Hunger und Durst und Kälte vergaß. Bis es uns mit so strahlenden Augen anblickte, dass sogar die Luft um uns herum zu leuchten schien.
 
Und seither - denn jetzt habe ich das alles ein bisschen besser verstanden - füge ich meistens zu meiner Geschichte hinzu: Denn niemand soll das Lachen gering achten, Lachen und Liebe werden immer zusammengehören. Deshalb wage ich es, voller Stolz zu sagen: Das war mein Geschenk, das war das Geschenk der heiligen drei Narren.

Nicht Gold, Weihrauch und Myrrhe waren unsere Gaben - nein, wir haben dem Kind Freude geschenkt.

Buch: Skandinavische Weihnachten

Quelle und Bilder sind aus dem Buch:
Skandinavische Weihnachten
Oetinger-Verlag
ISBN 978-3-7891-0415-2
 
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